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Ein Reh in Rehbockshausen - was der ein oder andere Dorfbewohner für einen verspäteten Aprilscherz gehalten hat, entspricht den Tatsachen. Ein offensichtlich von freilaufenden Hunden in Angst und Schrecken versetztes Jungtier verirrte sich in der Hauptstraße - siehe die nachfolgende Schilderung der Ereignisse. Die vor allem Anrainer des Geisbergs nachvollziehen können, weil auch sie schon Rehe seitlich vom Pfarrhaus bis an die Straße kommend gesehen haben. Dass dieses junge Reh zudem einer der letzten Besucher unserer inzwischen geschlossenen Apotheke war, sollte uns trotz des Happy ends für den Vierbeiner nicht nur schmunzelnd zurücklassen.
Donnerstag, 27. April 2017, 18 Uhr: Mein erster Gang nach Feierabend führt mich gewöhnlich in den Nutzgarten hinter unserem Haus in der Hauptstraße, denn wegen der anhaltenden Trockenheit müssen die Aussaaten regelmäßig gegossen werden. Was mich beim Gießen an jenem Abend etwas stutzig machte, war die Tatsache, dass zwei Katzen (eine von uns und eine vom Nachbarn), die sich eigentlich spinnefeind sind, in friedlicher Eintracht und relativ kurzem Abstand zueinander auf einer Mauer saßen und beide in den Nachbarsgarten unterhalb starrten. Den Grund für das ungewöhnliche Verhalten entdeckte ich dann am Zaun: in den Garten von Scheidhauers Haus hatte sich ein junges Reh verirrt, und scheinbar fand es nicht mehr hinaus. Da man lebende Wildtiere normalerweise nicht mitten im Dorf zu Gesicht bekommt, holte ich sogleich telefonisch Rat von einem Experten ein. Patrick Simon, einer der letzten Bauern im Dorf, gab den Tipp, einfach mal bis zum nächsten Morgen zu warten, vielleicht fände das Reh ja bis dahin aus seiner misslichen Lage. Andernfalls sollte ich mich noch mal melden, dann müsse es eben eingefangen werden.
Freitag, 28. April 2017, 10 Uhr: Das Reh war am Morgen danach immer noch im Garten gefangen, wirkte sehr verängstigt und ich gab Patrick Bescheid. Sein Kollege Tilman Schwindt, Sohn des Dorfmetzgers und Jäger, nahm sich des Falles an und kam mit Christian Schwarz, um nach dem Tier zu sehen. Doch das hielt sich nun zwei Grundstücke unterhalb auf, im Garten Ebersohl in der Fechinger Straße. Die Eigentümerin war glücklicherweise da, so bekamen die beiden Zugang zum Garten. Dort konnten sie das Reh am Kompost in die Enge treiben, Tilman griff beherzt zu und hielt es an den Hinterläufen fest. Mit Christian an den Vorderläufen setzte sich diese Rehretter-Prozession nun zu Fuß talwärts in Gang – begleitet von den panischen Schreien des Rehs, das natürlich nicht wusste, wie ihm geschah. In Höhe der Reithalle unter der Brücke entließen die Retter dann das Tier in die Freiheit – es lief anschließend in Richtung Tal.
Doch begonnen hat der Irrweg des armen Tieres bereits am Morgen davor … Das Reh aus der Apotheke? Als ich die Geschichte über die Reh-Rettung im Dorf erzähle, erfahre ich Folgendes: An besagtem Donnerstagmorgen war genau dieses Reh bereits panisch durch Bischmisheim gelaufen, erstmals bemerkt vor dem Laden „Nägel mit Köpfen“ in der Kreuzstraße. Anschließend sorgte das Reh in der Apotheke für Aufruhr, es öffnete nämlich die Schwingtür der Apotheke selbstständig und durchlief alle Räume, bis es dann nach einer gewissen Zeit durch die offene Tür wieder aus dem Ladenlokal herausfand. Sein weiterer Weg hat es dann wohl zu den Gärten in Richtung Tal getrieben.
Nachdenkliches zum Schluss Nach Meinung von Tilman Schwindt muss das etwa ein Jahr alte Reh vom Steinacker gekommen sein, andere Wege schließt er aus. Grund für die Panikreaktion waren vermutlich freilaufende Hunde, die das Tier aufgeschreckt haben. Denn nicht wenige rücksichtslose Hundebesitzer (nicht nur die Gassi-Geh-Touristen aus der Großstadt) lassen ihre Vierbeiner in den Rückzugsräumen des Rehwilds - in den Hecken auf dem Steinacker - ungeleint laufen, was genau so schlimm und unverantwortlich ist, wie die Hunde auf die Wiesen ihre Haufen machen zu lassen, die von den Landwirten zur Produktion von Viehfutter genutzt werden. „Die Leute denken, sie zahlen Hundesteuer und können tun und lassen, was sie wollen. Sie lassen Wildtiere leiden und vergiften unsere Futterwiesen und denken allen Ernstes, sie wären tierlieb“, so Tilman Schwindt.
F. Schley, Mai 2017 |